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Content Marketing ist in aller Munde. Dabei ist immer noch nicht geklärt, was man genau darunter versteht und was es besonders macht. Ist es tatsächlich der günstige Alleskönner? Wir klären es mit Menschen, die es wissen müssen: Auf der einen Seite Alexander Tim, der bei der Swiss.com das Marketing leitet. Auf der anderen Christof Baron, der Geschäftsführer bei Pilot ist.

Der Begriff des Content Marketings ist nicht einheitlich festgelegt. Was versteht man aus Ihrer Sicht überhaupt darunter?

Tim Alexander: Im Kern geht es darum, aktuelle und relevante, über das ganze Unternehmen abgestimmte Unternehmens-, Produkt- und Servicegeschichten zu finden, aufzubereiten und den Konsumenten anzubieten. Mit Content Marketing wollen wir die Präferenz für unsere Marke erhöhen und die Kunden via Dialog aktiv involvieren. Genau dies erreicht man mit klassischen Medien immer weniger.

Christof Baron Copyright: pilot Media

Christof Baron: Beim Content Marketing stehen Informationen und Geschichten Im Fokus. Diese sind individueller im Vergleich zur hoch-standardisierten Markenkommunikation. Theoretisch sind sie auch „unlimited“, wenn digitale Kanäle für die Verbreitung genutzt werden. Nicht zu vergessen – Content Marketing soll idealweise nach innen und nach außen wirken. Relevanz ist eine Grundanforderung an jede Kommunikationsform. Die Frage ob Content Marketing zwingend einen Dialog benötigt, würde ich eher verneinen.

Was unterscheidet Content Marketing von Nachbardisziplinen?

Alexander: Beim Content Marketing finden Sie genau diese Abgrenzungen nicht mehr; sie werden überflüssig. Alle Disziplinen, von der klassischen Werbung bis zur PR, sitzen gleichberechtigt an einem runden Tisch. Statt mit singulärer Instrumente wollen wir mit den unterschiedlichen Kundengruppen übergreifend in einen Dialog treten. Disziplinen gehören der Vergangenheit an. Content Marketing erfordert Silofreiheit und den Mut, relevante Inhalte auch gegen kritische Stimmen im Unternehmen auszuspielen. So lange sich der Content im Rahmen der Markwerte bewegt, ist ein Shitstorm auszuhalten. Marketing funktioniert heute nicht mehr im Beherrschen sondern im Bevollmächtigen der Mitarbeiter und Konsumenten. Damit das funktioniert, müssen die Teams zusammenarbeiten, bevollmächtigt und ausreichend budgetiert sein.

Findet man aber nicht bei den allermeisten Unternehmen Silos, in denen gedacht und gemacht wird?

Baron: Wenn ich für Menschen relevant sein will, muss ich meine Komfortzone verlassen. Genau das erfordert aber Mut. Aber nur so erreiche ich sie. Zu Ihrer Frage: Um guten Content zu schaffen, muss man in der Tat übergreifend arbeiten. In ganz vielen Unternehmen sieht man aber noch das Gegenteil. Auch bei Konzernen finden Sie noch alle Disziplinen nebeneinander. Horizontale Vernetzung suchen Sie dort vergebens, stattdessen gibt es noch immer viele Silos und das gilt für die Mehrzahl der Unternehmen.

Bei der gesamten Diskussion um Content frage ich mich immer, wer das alles lesen soll? Sind die relevanten Inhalte nicht in der Minderheit?

Baron: Traditionelle Medien haben, im Gegensatz zu den digitalen, inhaltliche Begrenzungen. Die Anzahl der Anzeigen in einem gedruckten Magazin ist limitiert, das Internet kennt dies nicht. Das verführt Marketingleute, möglichst viel Content auf die digitale Rampe zu schieben. Sie übersehen dabei, dass das Zeitbudget der Konsumenten limitiert ist. Aus einer gut gemeinten Content Strategie wird dann schnell eine Ansammlung von Textschnipseln, um Traffic zu generieren. Hinzu kommt die Illoyalität von Konsumenten, der man mit einem möglichst umfangreichen Angebot begegnen will. Das führt zu nutzlosen Inhalten und wahren Content Friedhöfen.

Marken

Tim Alexander Copyright: Swisscom

Alexander: Um dieser realen Gefahr zu begegnen, muss man die Zusammenarbeit verändern. Die richtigen Leute müssen die relevanten Geschichten finden. Die Herausforderung besteht in der Etablierung von Corporate-Journalismus. Bloße Marketinggeschichtchen erhöhen den Verdruss, und die Leute sind noch schwieriger zu erreichen. Bei vielen Marken passiert aber genau das, und man langweilt seine Nutzer zu Tode. Es brauch freien Journalismus im Unternehmen.

Da sind wir beim nächsten Buzz-Word, was ich gerne erklärt hätte: Was ist denn relevanter Content?

Alexander: Relevanz ist leider ein subjektives Kriterium und liegt im Auge des Betrachters. Daher kann man den Begriff nicht exakt bestimmen. Es kann ein neuer Gedanke sein, es kann das Leben erleichtern oder einfach nur unterhalten. Die Herausforderung besteht darin, dass Mitarbeiter die Relevanz aus Nutzersicht erkennen und sich dafür in sie hineinversetzten können.

Baron: Der Nutzen muss in keiner direkten Verbindung zum Produkt stehen. Auch gute Unterhaltung kann funktionieren. Denken Sie an den Spot von Volvo Trucks „The Epci Split feats“ mit Jean-Claude von Damme. Dass der Schauspieler dort zwischen zwei fahrenden LKWs spektakulär in den Spagat geht, führt nicht zwangsläufig dazu, dass ein Händler deswegen mehr Anfragen erhält. Aber der Film positioniert die Marke auf einzigartige Art und Weise, und Truck-Werbung ist in der Regel alles andere als spannend. Den gleichen Effekt finden Sie bei den EDEKA-Spots „Heimkommen“ und „Super-Geil“. Die Marke wird menschlich dargestellt und der Content unterhält.

Alexander: Das findet meine volle Zustimmung, aber es ist nichts wirklich Neues; was für Content Marketing generell gilt. Geschichten, die weitererzählt werden, gibt es schon lange. Der innovative nächste Schritt ist der Dialog. Dieser kann aus unterschiedlichen Stufen bestehen. Die erste mag das Liken des Inhalts sein, die zweite das Teilen. Der für mich anschließend wichtigste ist aber der Dialog zwischen Marke und Konsument.

Baron Hier sollte man klar differenzieren. Es gibt sicherlich Produkte, die hoch emotional sind und Potential für einen direkten Dialog haben. Für viele andere Produkte ist aber ein geringes Involvement charakteristisch. Hier ist ein Dialog viel schwieriger zu realisieren. Dann stellt sich die Frage nach seinem Wert: Muss eine Dosensuppe oder Toilettenpapier zwingend in den Dialog treten? Reicht nicht ein Feedback-Kanal im Falle von Fragen und Problemen. Das würde ich nicht zwingend unter „Dialog“ subsumieren. Gerade für solche Marken kann TV, also frontale Kommunikation, ein wirkungsvollerer Kanal sein. Die Wirkung gerade des Lean-back-Mediums Fernsehen wird für mich gerade zu klein geredet.

Alexander: Ich glaube, dass jedes Produkt dialogfähig ist. Vorher muss allerdings jede Marke stimmige Antworten auf die Frage nach dem „Why“ bzw. ihrem „Purpose“ im Leben der Kunden gefunden haben. Bin ich hier konsistent, kann ich auch guten Content für Toilettenpapier entwickeln. Kunden wollen heute immer mehr über ein Produkt wissen. Das bietet viele Möglichkeiten für relevante Inhalte; man erzählt, wie es hergestellt wird, wie man verantwortungsbewusst mit Ressourcen umgeht und wie die nachhaltige Lieferkette aussieht. Das sind Steilvorlagen für tiefen Dialog. Content Marketing gibt dem Konsumenten Substanz, warum er diese Marke gut finden soll. Dialog ist dann beinahe zwangsläufig. Endkunden befinden sich deswegen aber nicht zwingend in einer permanenten Kommunikation mit der Marke.. Die Marke muss aber bereit sein, wenn dies vom Konsumenten gewünscht ist.

Baron: Aber genau hier sehen Sie massive Unterschiede. Bei einigen Marken hat die Interaktion einen hohen Stellenwert und wird auch so gelebt. Bekannte Fußballspieler oder auch Vereine sind ein Beispiel dafür. Dagegen gibt es Marken mit über 12 Millionen Fans bei Facebook, wo nur einige wenige Male pro Tag interagiert wird.

Alexander: Die Frage ist doch, ob die Konsumenten keine Lust auf einen Dialog haben oder ob die Inhalte dafür zu schlecht sind? Ich habe darauf noch keine gültige Antwort, habe aber den Eindruck, dass wir den Content in der Qualität verbessern müssen.

Reden wir noch über die Frage, wer den Content überhaupt liefern kann und was er kostet?

Alexander: Ich bin mir sicher, dass dies keine Agentur leisten kann. Nur die Mitarbeiter in einem Unternehmen sind dicht genug an den Inhalten. Agenturen können mit ihren Fähigkeiten dabei helfen und am runden Tisch mitarbeiten. Die Federführung liegt aber ganz klar im Unternehmen.

Baron: Auch hier muss man differenzieren. Wenn die Agentur eng mit dem Kunden zusammenarbeitet, kann sie durchaus Content kreieren. Vor allem PR-Agenturen können hier werthaltige Inhalte liefern. Aber: Qualität kostet Geld. Mediaagenturen können dies nur leisten, wenn sie professionelle Units im Haus haben die Content produzieren können: Kreative, Journalisten und Menschen mit Produktions Know-How.

Alexander: Content Marketing entspricht überhaupt nicht dem, was ein CFO heute von seinem Marketingteam erwartet; also wenig Fixkosten und immer weniger Headcounts. Es ist eher teurer als die übliche Kommunikation. Ressourceneinsatz für Content Marketing kostet richtig Geld. Das Geld wird für Inhalte benötigt, sonst entstehen Content Friedhöfe. Aber auch um diesem Content ein attraktives zuhause zu geben muss investiert werden; meist in die eigene Webseite. Die Themen müssen darüber hinaus aber auch weiter transportieren werden. Beschäftigen wir uns zum Beispiel mit Themen für Familien, so gibt es Seiten, deren thematischer Schwerpunkt genau hier liegt. Unser Content gehört dort hin und das kostet Geld Seeden und Kooperieren.

Blicken wir noch kurz in die Zukunft. Wohin entwickelt sich Content Marketing?

Alexander: Bei Swisscom möchten wir jedem Konsumenten an jedem einzelnen Kontaktpunkt eine für ihn spannende Geschichte erzählen. Das ist sicherlich Zukunftsmusik. Wenn jemand Swisscom-TV schaut, so kann ich, außer über die Handy-Nutzung, noch nichts über den einzelnen Menschen sagen. Diesen Kontakt haben wir aber am POS, an der Hotline und im Kundencenter im Web sowie bei vielen anderen Touchpoints. In Zukunft möchten wir diese Kontaktpunkte miteinander verknüpfen und individuelle Content Angebote unterbreiten. Programmatic und Content werden wir eng miteinander verzahnen.

Baron: Hier sind Sie natürlich in einer komfortablen Situation, weil Sie über die Vielzahl der Produkte und den direkten Kontakt eine Menge über den Kunden wissen. Selbst für Autohersteller, die häufig sehr kundennah arbeiten, ist digitales Storytelling eine Herausforderung. Hersteller von FMCG-Produkten tun sich da deutlich schwerer; denn sie kennen ihre Konsumenten nur im Ansatz.

Herr Alexander: Wenn Content Marketing in den nächsten Jahren mausetot ist, woran hat es gelegen?

Alexander: Dann sind in den Unternehmen nie die richtigen Strukturen gelegt worden, um aktuelle, relevante und interessante Inhalte zu schaffen.

Herr Baron: Wenn Content Marketing in den nächsten Jahren massiv durch die Decke geht, woran hat es gelegen?

An der Qualität dieser Inhalte und der Kunst, den Verbraucher und seine Bedürfnisse zu verstehen.

Dieser Beitrag ist auch bei LEAD digital erschienen.This content is only available in German.