Benjamin Minack und Maik Hofmann haben sich ausführlich über Agenturjobs ausgelassen. Fazit: Alle super. Verbesserungsmöglichkeiten gibt es natürlich immer, aber die Luft nach oben wird dazu verdammt dünn. Zu viel hat man in der letzten Zeit erreicht und optimiert. Als ich das Interview gelesen habe, fragte ich mich: In welcher Welt leben die Kollegen? Um welche Sonne kreist ihr Planet? Ich fürchte, wir fristen unser Dasein in unterschiedlichen Welten.
Es ist also an der Zeit die heile Welt der Agenturen dem Realitätscheck zu unterziehen. Starten wir mit den Gehältern. Hier hat nach der Aussage von Benjamin Minack eine Angleichung zum Beispiel zur Industrie stattgefunden. Zugegeben: Valide Zahlen zu finden, ist nicht ganz einfach. Aber die Kollegen von Werben und Verkaufen geben Agenturen die Möglichkeiten, sich als Arbeitgeber darzustellen. Dort wird auch die Frage nach den Einstiegsgehältern gestellt. Die allermeistern blocken und nennen dazu keine Angaben. Aber es gibt die eine oder andere Ausnahme. So bieten die Agenturen Elbdudler und Mutabor ihren Anfängern doch in der Tat 30.00 Euro brutto im Jahr. Wie deutlich die Gehaltsunterscheide sind, wird deutlich, wenn wir die Agenturgehälter mit Ausbildungsberufen vergleichen. In der chemischen Industrie verdient ein Chemielaborant mehr als 3000 Euro im Monat. Nach nur zehn Monaten überholt ein solcher Mitarbeiter einen meist studierten Agenturkollegen. Dass in der Industrie mehr als 12 Monatsgehälter, wie dies in Agenturen üblich ist, gezahlt werden, ist hinreichend bekannt. Auch wenn in anderen Branchen Chemielaboranten schlechter bezahlt werden, kann von einer Angleichung der Gehälter keine Rede sein.
Agenturen bieten spannnende Arbeitsplätze, immer noch
Auch die Work-Life-Balance wird in diesem Interview als stark verbessert dargestellt. Und in der Tat gibt es gerade in den letzten Jahren, die eine oder andere Agentur, die eine vergleichbare Anzahl an Urlaubtagen gewährt, wie man dies zum Beispiel auf der Industrieseite findet. Auch langjährigen Mitarbeitern kommt man mit flexiblen Arbeitszeiten entgegen. Hier hat sich in der Tat etwas bewegt. Aber schauen wir uns die Mutter mit langer Berufserfahrung in Agenturen an, die jetzt nach einer Pause wieder zurück in den Job will. Natürlich muss sie gerade in den Randarbeitszeiten ihr Kind zur Kita bringen können und es von dort abholen. Lässt sich das mit den viel beschworenen Flexibilität in Agenturen vereinbaren? Alleine ein solche Frage zu stellen, versperrt meist alle Türen. Wie steht es generell um die Arbeitszeiten? Schauen wir uns die typischen Kreativagenturen an, so hat sich am Verspeisen der Mitarbeiter mit Haut und Haar nichts verändert. Das Motto heißt: „Natürlich verdienst Du bei uns nicht so viel und deutlich mehr arbeiten muss Du auch. Aber, hey, unser Name in Deiner Vita, das kannst Du nicht mit Gold aufwiegen.“
Erstaunlich finde ich an diesem Gespräch auch, wie man mit Problemen umgeht, die nicht zu kaschieren sind. Im Interview wird die Tatsache angesprochen, dass es an der Spitze der allermeisten Agenturen kaum Frauen gibt. Auch Kollegen, die älter als 40 Jahre sind, findet man nur in Ausnahmen. Es stellen sich zum Beispiel die folgenden Fragen: Wie gehen Agenturen damit um? Wie kann man besser werden? Benjamin Minack entscheidet sich für den einfachsten Weg. Er antwortet schlicht: „Das alles sind Problemfelder. Haken dahinter.“ Ich finde eine solche Antwort ist bezeichnend für die gesamte Diskussion: Wir sorgen für viel Chichi, aber wenn es ans Eingemachte geht, werden die Reaktionen einsilbig.
Es blutet mit das Herz
Ich halte Agenturen immer noch für einen höchst spannenden Arbeitsplatz. Gerade weil man hier viele, unterschiedliche Erfahrungen sammeln kann. Wenigstens hier bin ich mit den Kollegen einer Meinung. Und auch wenn dies sehr subjektiv ist, ich mag die Leute. In keiner anderen Branche tickt die manchmal chaotische Wellenlänge so ähnlich. Schauen wir uns die Entwicklung auf einer etwas größeren Skala an, so waren Agenturen in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die attraktivsten Arbeitgeber überhaupt. Jeder wollte dort hin. Dass sich dies verändert hat, müssen wir nicht diskutieren. Aber wenn das Image der Agenturen nicht nur als Arbeitgeber so gelitten hat, warum hat man nicht den Mut, das auch zu sagen und zu verändern. Vielleicht ist die Aussage von Benjamin Minack „Ich mache so weiter wie immer.“ gar nicht so spaßig gemeint? Es blutet mir das Herz.
Dieser Beitrag ist auch bei Horizont online erschienen.