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New Business: Glaubt man dem Branchenverband GWA, so sinkt die Marge bei Agenturen seit 2015. Auch 2019 oder gar 2020 dürfte sich daran nichts ändern. Warum ist das Geschäft so schwierig und wenig lukrativ geworden?

Bent Rosinski

Stimmt der Trend ist negativ, auch wenn wir Agenturen schon noch Geld verdienen. Aber spätestens 2020 wird das Jahr der Wahrheit. Agenturen sind heute mehr denn gezwungen, ins unternehmerische Risiko zu gehen. Die Fragmentierung der Budgets in immer kleinere Einheiten macht eine seriöse Planung des Geschäftsmodells Agentur fast nicht mehr möglich. Auf der anderen Seite müssen wir ausreichend personelle Kapazitäten bereithalten, da das Tagesgeschäft immer kurzfristigere Reaktionen erfordert.

Marco Ziegler

Das trifft uns als Fachagentur genauso. Wir sind nicht diejenigen, die große Kreativetats verwalten. Wir brechen vielmehr die Ideen der Kreativhäuser runter auf Felder wie Sales oder Brand Activation. Und in den Bereichen arbeiten seit Jahren auf Stundenbasis, teils sogar Halbstundenbasis. Aber selbst unser Projektgeschäft ist noch kleinteiliger geworden. Die Honorierung auf Retainerbasis ist nur mehr die Ausnahme.

Was hat sich denn konkret geändert im Vergleich zu der Situation vor 5, 6 Jahren?

Rosinski

Früher gab es 3 bis 4 Aufgaben oder neudeutsch Assets, die gründlich gemeinsam mit dem Kunden erarbeitet wurden. Das sorgte für Planbarkeit auf beiden Seiten. Heute reden wir nicht von vier oder fünf, sondern von 30 Assets oder mehr, die umgesetzt werden müssen. Zeit, Budget und Kapazitäten auf Kunden- und Agenturseite sind jedoch nicht proportional mitgewachsen. Das heißt: Wir müssen schneller zu Resultaten kommen, was den Einsatz von seniorigeren Mitarbeiter erfordert, die bei Honorierungsmodellen mit Durchschnittsstundensätzen zu Lasten der Agentur gehen. Das macht wenig Freude.

Ziegler

Sehen wir uns an, was andere Dienstleister berechnen; da ist die Autowerkstatt oder der Klempner, der Anfahrt und Nutzung des Pkw vergütet haben will. Aber wir sind auch teils selber schuld. Wir dürfen uns nicht klein machen; das beginnt schon beim New Business. Ich habe vor kurzem einem Einkäufer in Verhandlungen entgegnet: „Ich steh‘ schon nackt vor Ihnen. Ich habe keine Tasche mehr, in die Sie langen könnten.“

Mehr und kleinteiligeres Projektgeschäft, größerer Zeitdruck und inadäquate Bezahlmodelle. Klingt dramatisch. Ist es wirklich so schlimm?

Thomas Strerath

Wir haben gerade eine Analyse gemacht für einen großen Autohersteller. Demnach werden mehr als 100000 Assets in einem Jahr produziert. Das lässt sich finanziell nicht mehr in der bisherigen Form realisieren. Da helfen auch minimierte Stundensätze nicht weiter. Diese Menge kann nicht weiter in manuell und in linearen Prozessen von einer Vielzahl verschiedener Agenturen umgesetzt werden. Zumal alle mit unterschiedlichen Tools, auf verschiedenen Technologieplattformen und mit selbst definierten Qualitätsmaßstäben arbeiten.  Das Problem aller Agenturen ist, dass sie ihre strategische und kreative Expertise seit jeher mit der Produktion verknüpft haben, ob Kreativ-, Digital- PoS- oder Social-Media-Agentur. Und auf diese Weise viele Jahre lang auch gutes Geld verdient haben. Natürlich leiden Agenturen daran, weil man ihnen nicht die Stundensätze eines Auto-Mechanikers bezahlt, auch keine Anfahrtspauschale. Aber sie leiden vor allem deswegen, weil sich die Auftraggeber anders organisieren müssen. Wir brauchen nicht 17 Produktionsprozesse, sondern wir zentralisieren sie, teilweise oder auch komplett. Hinzu kommt: Der Bedarf der Assets kommt nicht nur aus der Vervielfachung der Kanäle, sondern auch aus der Personalisierung. Immer mehr entscheidet der Datenpunkt, ob und welche Art Asset ausgespielt wird. Bei Programmatic ohne Mitwirken eines Dienstleisters. Die Wertschöpfungskette der Agenturen passt nicht mehr zur Realität. Ob Inhouse-Abteilungen, Spezial- oder Technologieanbieter: Sie alle greifen massiv das Geschäftsmodell der Agenturen an.

Und wie müssen Agenturen darauf reagieren?

Strerath

Eine Folge könnte die Renaissance der Kreativagenturen sein, die sich nur auf Strategie und Kreation beschränken. Wenn ich heute eine Agentur neu gründen würde, dann würde ich nur Kreative einstellen. Die Administration, also die Berater, die Dokumentenschubserei oder die Dokumentation würde ich alles weglassen. Dann wird auch klar, was ich dort kaufen kann. Ich plädiere für eine radikale Spezialisierung.

Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass es alles andere als leicht ist, Beratung und Kreation zu verkaufen. Sind die Kunden überhaupt bereit, diese Leistungen adäquat zu honorieren?

Jürgen Herrmann

Natürlich gibt es viele Stimmen, die beispielsweise fordern, dass Social Media komplett inhouse gestemmt wird. Weil man dazu in der Lage sei. Aber in puncto Kreativität kann das kein Kunde so leisten wie eine Agentur. Weil diese systemimmanent über viele Themenfelder und Branchen kreativ sein muss und allein deshalb immer wieder neuen Input liefern kann. Der Werbungtreibende braucht gute Kreativität. Und ich denke, dass er bereit ist, dafür auch zu bezahlen.

Ziegler

Ideen werden immer gebraucht auch im New Business . Solange KI keine Ideen entwickeln kann, braucht es dafür Menschen. Aber, und das wird noch wichtiger werden in Zukunft, man braucht als Kunde jemanden, der diese Assets steuert. Wir machen das in großen Umfang für Telefonica und haben dafür die Telefonica Content und Communications Factory aufgebaut, gemeinsam mit dem Softwareanbieter Censhare. Auf dieser Plattform arbeiten mittlerweile rund 400 Kollegen aus Agenturen, angefangen von der BBDO bis zum Social-Media-Dienstleister und dem Kunden. Über sie läuft die komplette Korrespondenz, selbst das o2 Kundenmagazin von rund 70 Seiten entsteht so. So eine Plattform ist natürlich nicht für alle Kunden sinnvoll. Aber gerade große Unternehmen mit vielen Assets können dies anders nicht mehr handeln. Ich habe eben schon gesagt, dass wir uns nicht klein machen dürfen; auch nicht gegenüber Unternehmensberatungen. Agenturen haben den großen Vorteil, dass sie im täglichen Doing sind; wir wissen wie die Work-Bench aussehen muss. So haben wir für die Telefonica Plattform mittlerweile über 75 Workflows definiert, die auch funktionieren.

Strerath

Für mich klingt das wie das bekannte Pfeifen im Walde. Zu dem Modell, das bisher aus Kunde und Agentur bestand, kommen neue Anbieter hinzu. Ein IT-Player wie Netcentric implementiert ein System und íst plötzlich im Lead. Ähnlich arbeiten Unternehmensberatungen. Da der Markt in Summe nicht größer wird, muss er nun anders organisiert werden. Agenturen haben das Problem, dass sie über so gut wie kein Technologiewissen verfügen. Eine Gruppe wie Mediamonks (2018 von Ex-WPP-Chef Martin Sorrell gekauft; Anm. d. Red.), die Websites, Spiele und Filme produziert, ist aus meiner Sicht die große Ausnahme. Genau dieses Wissen um den technologischen Markt, die Auditierung der Anbieter und deren Implementierung ist aber der neue Goldstandard. Dabei liegt das Geld im Prozess, der durch die Digitalisierung geändert wird. Wie sagte Thorsten Dirks, ehemaliger CEO von Telefónica Deutschland: „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Wenn ich den Prozess aber digitalisiert habe und gehe dann auf eine Kreativagentur zu, dann muss ich sie auch für die Idee bezahlen. Was anderes kann ich da nicht kaufen.

Rosinski

Ich sehe für uns auch nicht die Zukunftsaufgabe darin, die Datenkrake zu bändigen. Das funktioniert auch im New Busiess nicht. Ich sehe aber nach wie vor einen großen Bedarf für Kreativagenturen, weil sonst niemand die Expertise hat aus dem gesamten Wust an Daten, die die Beratungen produzieren, kreativ einen langfristig tragfähigen Plattformgedanken für alle Maßnahmen zu entwickeln. Das ist die Königsdisziplin und unsere originäre intellektuelle Leistung.  Nicht das Abarbeiten von Assets. Das heißt aber auch, dass sich Kreativagenturen wieder fokussieren müssen und sie dürfen nicht auf allen Hochzeiten spielen.

Herrmann

Tun sie aber gerne. Nicht zuletzt getrieben durch den Kunden, bieten Agenturen immer mehr Leistungen an. Und jeden Tag gibt es neue Schlagwörter, bei denen der Schnappreflex einsetzt, alles abdecken zu wollen. Das ist nicht der richtige Weg. Schon als es nur die Klassik und Trademarketing gab, konnte kaum eine Agentur beides.

Unternehmensberatungen kaufen Kreativagenturen. Warum nicht auch umgekehrt auch?

Strerath

Unternehmen wie Accenture beschäftigen 450.000 Leute. Für die ist es wie Blümchen kaufen, wenn sie sich als Schmuck unten im Eingang eine Droga 5 hinstellen. Aber selbst die größte Agentur in Europa, nämlich Serviceplan, kann das nicht leisten. Und mit Blick auf die Networks: Auch sie sind kein einzelnes Working-Model, vielmehr sind es viele Firmen. Bei den Daten reicht es eben nicht aus, einen Data-Scientist zu haben, sondern es geht darum, diese in einen Prozess zu gießen. Das hat etwas mit Größe und ganz unterschiedlichen Kompetenzen zu tun, aber nichts mit dem Kerngeschäft einer Agentur.

Ist beim Einkauf angekommen, dass Agenturen mehr für Kreation liefern sollen?

Strerath:

Eine Zeit des Umbruchs ist auch immer eine Zeit des Schmerzes. Es hakt dann an vielen Stellen. So beharrt der Einkauf weiter auf seine Standardprozesse, auch wenn es um Marketingdienstleistungen geht. Von einer Renaissance der Kreativagenturen wird er nichts wissen. Daher fühlt sich die Situation für viele Agenturen noch schlechter an, als es der GWA-Monitor darstellt.

Ziegler

Das Problem ist die Qualifikation. Trifft man im New Business auf Einkäufer, die unsere Leistung beurteilen können oder vergleichen sie es mit der Beschaffung von Klopapier oder Schrauben? Es ist deshalb wichtig, dass ein enger Austausch mit dem Marketing erfolgt. Wir erleben inzwischen beides: dass wir den normalen Einkaufsprozess durchlaufen aber dass uns Agentur auch die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gestellt wird.

Rosinski

Man darf es nicht schön reden, es ist ein extrem harter Kampf – unabhängig vom Einkauf; dies gilt auch für das New Business. Wie gelangt man heute an Aufträge? Leider meistens durch Pitches. Dafür bekommen wir „großzügig“ 5.000 Euro. Wenn wir den Pitch gewonnen haben, führe ich endlose Diskussionen mit dem Kunden, weil ich die wochenlange Vorarbeit und präsentierte Leistung abrechnen will: und zwar als Grundkonzeption und nicht als Reisekostenzuschuss. Heute ist das ein steinigerer Weg, früher war das kein Problem. Wenn ich das nicht mache, schenke ich dem Kunden unsere eigentliche Kernleistung und verdiene hinten raus immer weniger an der zunehmend automatisierten Realisierung der Assets .

Herrmann

Man muss verstehen, wie der Einkauf tickt. Seine Aufgabe besteht darin, Geld einzusparen. Heute geht das über die Digitalisierung leichter, weil man zum Beispiel besser vergleichen und Prozesse vereinfachen kann. Dadurch steht aber auch der Einkauf selbst unter starken Druck. Manches, was früher üblich war, wird nicht mehr akzeptiert. So Nachforderungen. Es muss vorher klar definiert sein, was an Leistung erbracht wird.

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