Die digitale Transformation verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten. Auch im Marketing. Ein Stichwort, was hier immer wieder fällt, ist New Work. Wir wollten genauer wissen, was das überhaupt ist – und warum es gut ist. Dazu haben wir mit Dr. Michael Trautmann gesprochen, Vorstand und Gründer der Agenturgruppe Thjnk.
Herr Trautmann, wozu braucht man New Work überhaupt?
Der Begriff New Work wurde bereits in den 70er Jahren von Frithjof H. Bergmann eingeführt. Daraus ist eine Bewegung entstanden, die unter anderem davon ausgeht, dass die Lohnarbeit, wie wir sie kennen, schrittweise in die “Neue Arbeit” überführt werden soll. Diese soll dann nur noch zu einem Drittel aus Erwerbsarbeit, zu einem Drittel aus Selbstversorgung (High-Tech-Self-Providing) und Smart Consumption und zu einem weiteren Drittel aus sinnstiftender Arbeit bestehen. Auch wenn wir den Begriff weiter definieren, so glauben wir auch, dass die Veränderung der Digitalisierung und das, was im Moment unter “Machine Learning” und “Artificial Intelligence” diskutiert wird, eine Auseinandersetzung mit “New Work” mehr als überfällig machen.
Unsere Erfahrung ist ein andere. Wir bekommen in unserem Podcast einen Einblick in Unternehmen unterschiedlicher Größen aus verschieden Branchen und mit unterschiedlichen Reifegraden. Bei jedem Gesprächspartner spüren wir die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung und auch das Feedback unserer Hörer gibt uns immer wieder das Gefühl, dass New Work in einer großen Anzahl von Firmen angekommen ist, zumindest aber an die Tür klopft.
Wie geht man mit den Mitarbeitern um, die eben eine andere Führung benötigen?
Wichtig erscheint mir, jungen Menschen bereits im Vorstellungsgespräch die Unternehmens- und Führungskultur eines Unternehmens zu vermitteln. Eine regelmäßige Kommunikation und laufendes Feedbacks auf die gezeigten Leistungen und das Verhalten im Team anstelle von Jahresgesprächen helfen dabei, alle Menschen auf das vorzubereiten, was vor uns liegt.
Grundsätzlich beobachten immer mehr junge Menschen, die nicht mehr an den klassischen Dreiklang “hart arbeiten, erfolgreich werden, glücklich sein” glauben. Die Wissenschaft gibt ihnen recht, denn nur wer glücklich ist, kann seine Kraft in die Arbeit geben und wir dann seinen persönlichen Erfolg haben können. Unternehmen mit streng hierarchischen Führungsstrukturen werden es schwerer haben, Nachwuchs zu gewinnen und vor allen Dingen zu halten. Partizipation an Entscheidungen, Idea Ownership und Sinnstiftung werden wichtiger.
KI und Machine Learning machen Auseinandersetzung mit New Work unabdingbar
Wo sind die Grenzen von New Work?
Wir haben noch deutlich mehr Fragen als Antworten und wir denken auch nicht, dass es den einen neuen Ansatz gibt, der für alle Unternehmen richtig ist. Der Veränderungsprozess in dem sich die Wirtschaft befindet, wird durch die angesprochenen Themen weiter beschleunigen und wir gehen davon aus, dass “New Work” kein Ziel sondern eine Reise ist. Daher haben wir unser Projekt auch “On the Way to New Work” genannt.
Wenn New Work mehr Freiheiten gibt, braucht es auch auf der anderen Seite einen stärkeren Rahmen?
Insbesondere Firmen, die ihren Mitarbeitern die Möglichkeit zu “Remote-Work” einräumen, brauchen natürlich eine starke Unternehmenskultur und eindeutige Kommunikationsregeln, an denen sich alle orientieren orientieren. In der New Work Diskussion gibt es aber auch Ansätze, die sogar den von Ihnen angesprochenen Rahmen über die klassischen Führungsrolle setzen. Im sogenannten “Holacracy” Ansatz von Brian J. Robertson ersetzt der Prozess die klassischen Führungsstrukturen und die Verfassung des Unternehmens steht über allem. Je nach Blickwinkel ergibt das im Ergebnis ein Unternehmen ohne Chef oder ein Unternehmen in dem alle Mitarbeiter Führungskräfte sind.
Ist es wirklich noch sinnvoll, solche Utopien aufzurufen? Dies mag vielleicht für ganz kleine Einheiten gelten, aber mussten wir nicht schmerzlich lernen, dass solche Ansätze zum einen nicht funktionieren und zum anderen eher schaden als nützen? Traurige Vorbilder findet man im politischen Bereich haufenweise.
An dem Ansatz gibt es einige Dinge, die zeitgemäß sind, so überzeugt mich zum Beispiel die These, dass ein Unternehmen eine starke Verfassung braucht, um zu funktionieren. Die Disziplin, Meetings nach einem klaren und nachvollziehbaren Prozess durchzuführen und sie außerdem thematisch nach Governance-, Strategie- und operativen Meetings zu unterscheiden überzeugen mich eben so, wie ein einheitliches Verständnis darüber, wie in Unternehmen Entscheidungen fallen. Holacracy scheint mir an vielen Stellen zu kompliziert, aber es gibt ähnliche Ansätze, die nicht ganz so rigide sind, wie beispielsweise “Reinventing Organizations” von Frédéric Laloux. Die Grundannahme, die beiden Modellen zugrunde liegt, nämlich, dass eine komplexe Welt, nicht mehr den einsamen Cowboy an der Spitze eines Unternehmens braucht, sondern ein deutlich breiter angelegtes, partizipatives Führungsverständnis, halte ich für richtig.
Dieser Beitrag ist auch bei acquisa erschienen.